Das Vermächtnis der Nebel

Einst regierte Obolet über ein blühendes Königreich. Sein gerechtes Urteil und sein starker Schwertarm brachten ihm Ruhm und die Liebe seines Volkes.

Nur eine Person stand noch höher in der Gunst der Menschen: seine Halbschwester Araide. Sie war von solcher Anmut und Sanftheit, dass es kaum einen Ritter gab, welcher sich ihr nicht sogleich ohne jedes Zaudern unterwarf, um in ihrem Namen zu streiten. Mag man der Legende Glauben schenken, gab es nie eine Frau von reinerem Edelmut.

Noch heute liegt ihretwegen Wehmut in den Rufen der Greifen, aber vielleicht sollte ich meine Geschichte in früheren Zeiten beginnen lassen …

Die Sonne war bereits seit Stunden untergegangen, als ein Bote Obolet die Nachricht über die Ankunft der edlen Karinde überbrachte. Seitdem der König Hadrian weggeschickt hatte, waren seine Gedanken schwer gewesen.

Nie hatte sich der Ritter vom roten Schwert gegen ihn versündigt, aber wie hätte er seiner Schwester diese Bitte abschlagen sollen? So hoffte er auf Versöhnung und Verzeihung, als er dessen Kusine Karinde herzlich an seinem Hofe empfing.

"Edle Dame, berichtet mir von Eurem Vetter. Mein Herz ist schwer, seitdem er meinem Hofe fern ist." Da sprach die spitzzüngige Frau. "Hadrian ist tiefster Verzweiflung anheimgefallen. Der Arme ist kaum mehr er selbst, so quält ihn Euer Urteil. Ich bin zu Euch gekommen, für ihn um Milde zu bitten.

Im ganzen Land preist man Euren Edelmut, so lasst auch meinen liebsten Hadrian etwas davon spüren. Straft mich an seiner statt. Ich flehe Euch an, edler König!" Tränen rannen über ihre Wangen, als sie sich Obolet zu Füßen warf.

Dieser war so erschrocken und von solcher Trauer ergriffen, dass er neben ihr zu Boden sank. Mit zitternden Händen bemühte er sich, ihre Tränen zu trocknen. In diesem Moment stieß ihm Karinde eine metallene Spitze in die Seite. Erschrocken wich Obolet zurück, aber noch bevor ein Wort seine Lippen verlassen konnte, sank er in einen tiefen Schlaf.

Als er die Augen wieder aufschlug saß Karinde neben ihm und hielt seine Hand. Innige Liebe ergriff sein Herz und jeder klare Gedanke fiel ihm schwer.

Als die Hexe sah, dass ihr Zauber seine Arbeit tat, wischte sie sich die falschen Tränen weg und stand vor Obolet auf, welcher noch immer kniete und sie bewunderte. Nun war nicht mehr Araide die Herrin über das Herz des stolzen Obolets, sondern sie.

Ihr heißeres Lachen erfüllte die Kemenate, und Obolet lauschte ihm mit verblendeter Verzückung.